Gestern war Tag der Europäischen Sprachen, und von denen spreche ich ja nun mehrere und hab festgestellt: hab ich Gedanken zu.
Ich lerne Fremdsprachen, seit ich mich erinnern kann. Ich wollte schon als Kindergartenkind vielsprachig werden, war daraufhin in einem Französischkurs für Kinder, dann folgte die Schule, bilingualer Zweig im Gymnasium und jede Fremdsprache wählen, die möglich war, parallel zum Abi mit Portugiesisch anfangen an der VHS, dann Romanistikstudium, Niederländisch im Nebenfach. Ich hab jede Sprache aufgesogen, die mir in die Finger kam. Nicht jede davon spreche ich fließend, aber ich komm immer mindestens durch in den jeweiligen Ländern.
Seit einiger Zeit allerdings räume ich auf in meinen Sprachen. Ich fing bei Deutsch an, über Englisch, Spanisch, Französisch, Niederländisch. Die Art und Weise, wie ich und die Mehrheit aller nämlich Sprachen lernte, ist männlich geprägt. Das fällt insbesondere bei der Auswahl der Literatur an, die im Kurs gelesen wird. Vor drei Jahren hab ich beispielsweise meine gesamten Oberstufenlektüren analysiert und festgestellt: von 21 Werken war eines von einer Frau geschrieben (Anne ici – Sélima la-bas von Marie Feraud). Dieses und weitere zwei (Huis clos/Geschlossene Gesellschaft von Sartre und Madame Bovary von Flaubert) haben weibliche Hauptfiguren. Und ansonsten in diesen zwei Leistungskurse und zwei Grundkursen? Männer, die für Männer schreiben – und Männer, die das in den Kanon aufnehmen, also bestimmen, was literarisch wertvoll ist und was eben zb im Schulunterricht gelesen werden sollte.
Und versteht mich nicht falsch: da sind mit Sicherheit Werke dabei, die wichtig sind zu besprechen in der Literaturgeschichte. Aber nur weiße cis Männer? Immer noch?
Ich lese mittlerweile so vieles, was ich damals lieber gelesen hätte – Werke von Frauen, trans und/oder nichtbinären Menschen, von BIPoC, von Menschen mit Behinderungen. Jüngstes Beispiel: Gabriel von George Sand, erschienen Mitte des 19. Jahrhunderts, das von einem jungen Adligen erzählt, der erfährt, dass ihm bei Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet wurde, er aber wegen Erbe und Titel als Junge aufgezogen wurde. George Sand selbst lebte je nach Ort mal als Frau, mal als Mann und war – unter männliche Pseudonym – enorm erfolgreich in der Schriftstellerei.
Ich bin froh, dass mittlerweile auch moderne Werke mit Vielfalt im Blick Eingang in den Sprachunterricht finden wie Ich bin Linus von Linus Giese oder Untenrum Frei von Margarete Stokowski. Und gleichzeitig: da geht noch mehr. Der Kanon (und die Lehrpläne an Schulen und Unis) werden immer noch von weißen cis Männern dominiert und das muss sich ändern.
Je mehr vielfältige Literatur gelesen und unterrichtet wird, desto vielfältiger wird auch unsere Sprache. Sensible Sprache wird dadurch prominenter – sensibel für Geschlechter, Behinderung, Rassismus usw. Dadurch kann sensible Sprache weiter normalisiert werden und das eben auch im Sprachunterricht.
Ich räume nun nachträglich auf, lerne Neopronomen und inklusive Ausdrücke und Grammatikformen verschiedener Sprachen und lese eben andere Bücher, andere Perspektiven. Das macht meine Arbeit, wie ich Sensitivity Reading und Lektorat betreiben kann, vielfältiger, weitet meinen Blick und mein Bewusstsein und es macht mich auch einfach glücklich, mich nicht nur auf Deutsch immer sensibler ausdrücken zu können.