Warum ich manchmal schlechte Bücher lese

Manchmal lese ich Bücher, die ich schrecklich finde, die problematische Inhalte vermitteln – und trotzdem kommt es nicht selten vor, dass ich diese Bücher fertiglese. Manchmal hat mich doch irgendwas gehooked in der Geschichte, meistens blicke ich einfach nur besonders tief in diesen Abgrund, wie bei einem Unfall, bei dem man weggucken möchte, aber nicht kann. Diese Bücher geben mir einen Eindruck davon, wie viel noch zu tun ist.

Es kommt, zugegebenermaßen, nicht allzu oft vor, dass ich an solche Bücher gerate, auch wenn garantiert die Mehrzahl der Neuerscheinungen nicht so sensibel ist, wie ich sie mir wünschen würde. Die meisten Bücher, die ich mittlerweile lese, sind ziemlich gut. Ich vertraue den Empfehlungen von Freund*innen und Buchblogger*innen, denen ich auf Social Media folge, entdecke unter den Ankündigungen der Verlage Neues und Interessantes und manchmal auch tatsächlich einfach spontan im Laden oder in der Bibliothek.

Hin und wieder aber mache ich dort einen Fehlgriff oder mir wird ein Buch geschenkt, hinter dessen Sprache und oder Geschichte ich nicht stehen kann. Es sind häufig Bücher, die besonders divers und inklusiv sein wollen, dabei aber grundlegende Regeln beim Schreiben vergessen wurden. Ich stoße auf Bücher mit Repräsentation von behinderten Menschen, wo allem Anschein nach weder Autor*in noch Lektorat sich die Mühe gemacht haben, basic Regeln rund um nichtableistische Sprache zu recherchieren, sondern fröhlich weiter reproduzieren, was seit Jahren kritisiert wird. Oder Bücher mit queeren Personen, die ein Klischee nach dem anderen erfüllen, trans Personen, die komplett unnötig gedeadnamed und misgendert werden usw usw. Ein gravierendes und leider auf dem Buchmarkt ziemlich erfolgreiches Beispiel dafür ist „Mein Bruder heißt Jessica“ von John Boyle über ein trans Mädchen – in dem also schon im Titel gemisgendert wird. Der gesamte Fokus ist auf dem Geschwisterkind aus dessen Perspektive geschrieben wird, all seinen Struggles, ohne dass die Probleme des trans Mädchens wirklich ernstgenommen werden, geschweige denn irgendwie sensibel aufgearbeitet.

Es gibt nach wie vor einfach viel zu viele Bücher, die vor diskriminierender Sprache und Inhalten nur so triefen. Und, klar, wir Autor*innen können nicht alles wissen. Aber: Wir sollten uns weiterbilden, so wie es alle Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun sollten, um andere nicht zu diskriminieren und zu verletzen. Gerade wir, die wir mit unseren Worten eben auch Gesellschaft abbilden und gleichzeitig unsere Lesenden mit unserer Sprache und unseren Inhalten prägen, sollten besonders achtsam sein. Und da wir eben nicht alles wissen müssen und können, sollten wir uns Hilfe holen. Genau deshalb gibt es doch Angebote wie Sensitivity Reading und/oder Sensitivity Beratung.

Liebe Autor*innen, nehmt diese Hilfe an. Setzt sie bei euren Verlagen durch. Liebe Verlage, nehmt diese Hilfe an. Bezahlt sie angemessen. Und dann freut euch über bessere Bücher. Es ist am Ende ein Win-Win für alle.

Diskriminierungssensible Erziehung: Mit Kindern über Diskriminierung sprechen (Buchrezension)

Mit Kindern über Diskriminierung sprechen von Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar, erschienen 2024 im Beltz Verlag, ist ein weiteres Grundlagenwerk für Diskriminierungsbewusstsein, nun eben mit dem sehr wichtigen Fokus auf dem Thema Erziehung. Wie kann man Kindern die Systematik und die Strukturen hinter Diskriminierung bewusst machen, wie kann man betroffene Kinder stärken und schützen und nichtbetroffene Kinder aufklären, das sind die Hauptfragen, denen die Autorinnen gemeinsam mit acht Expert*innen nachgehen.  Neben dem eigenen Themenschwerpunkt Antischwarzer Rassismus und Colorism, zu dem Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar bereits das Buch „Gib mir mal die Hautfarbe. Mit Kindern über Rassismus sprechen“ (Beltz, 2021) veröffentlicht haben, finden folgende weitere Marginalisierungen Raum: antimuslimischer Rassismus, antiasiatischer Rassismus, Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze, Antisemitismus, Queerness (insbesondere Geschlecht), Dick_Fettfeindlichkeit, Ableismus und Klassismus.

Die beiden Autor*innen schreiben alle Kapitel selbst, beschreiben ihre eigenen Erfahrungen und Unsicherheiten mit den Themen, machen sie dadurch nahbarer und zeigen deutlich: Wir alle haben diskriminierendes Verhalten verinnerlicht, wir alle müssen dazulernen. Diese Position so offen zu zeigen, ist eine der großen Stärken dieses Buchs. Was die Autor*innen selbst verstanden und gelernt haben, fassen sie in den Kapiteln zusammen, immer gestützt von Zitaten und Erzählungen der Expert*innen, die alle selbst Angehörige der jeweiligen marginalisierten Gruppe sind.

Für mich selbst das mit Abstand aufschlussreichste und lehrreichste Kapitel was das Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze. Zu allen anderen Themen hatte ich vorher auf unterschiedliche Art und Weise schon vieles dazulernen können, weil es schon deutlich mehr Material und auch insgesamt an vielen Stellen mehr Sichtbarkeit gibt (und ich bin ziemlich sicher, nicht nur in meiner Bubble ist das so). Ganz ehrlich, allein für dieses Kapitel sollte man in meinen Augen dieses Buch lesen – auch wenn alle anderen Kapitel ebenfalls sehr interessant und je nach Vorbildung sicherlich auch enorm lehrreich sind.

Bei den Themen, die mich selbst betreffen und für die ich selbst Expert*in bin, war ich naturgemäß am Kritischsten beim Lesen – und habe tatsächlich kleinere Anmerkungen, aber eben auch nur das. Beim Kapitel zu Ableismus (also Diskriminierung gegen behinderte und/oder chronisch kranke Menschen) hätte ich mich gefreut, wenn es eine Einordnung von Behinderung gegeben hätte. Ableismus wird definiert, nicht aber Behinderung selbst, das fand ich einigermaßen irritierend. Es wäre gut gewesen, zu besprechen, dass manche Behinderungen nicht auf den ersten Blick sichtbar sind, dass es auch neurologische Behinderungen gibt, nicht nur körperliche, psychische und Lernbehinderungen gibt. Beim Kapitel zu Geschlecht fiel mir auf, dass Schreibweisen nicht einheitlich waren, inhaltlich aber auch da viel Gutes und Hilfreiches dabei.

Sowohl Eltern, wie auch Erzieher*innen, Lehrkräften und anderen Pädagog*inen kann ich dieses Buch wirklich sehr empfehlen. Es wird Vorurteile bei euch anfangen abzubauen, es wird euch helfen, Diskriminierung mit weniger Unsicherheiten mit euren Kindern zu besprechen und trägt damit zu einer Welt mit insgesamt weniger Diskriminierung bei.

Danke an den Beltz Verlag für das Rezensionsexemplar.