Ich schreibe schon wirklich lange Lyrik. Am Anfang plakative Herz-Schmerz-, Haus-Maus-Reime, einfache Reimschemata, irgendwann so komplizierte Reimschemata wie ich nur überblicken konnte bis hin zu die Reime einfach ganz weglassen oder mitten im Vers einbauen. Ich bin an und mit Lyrik schreiben gewachsen, habe schreiberisch dazugelernt, aber auch in dem, was ich ausdrücken konnte in und zwischen den Versen. Und bis heute schreibe ich gerne Lyrik, regelmäßig, mal nur wenige Zeilen, mal ein ganzes Stück für die Bühne.
Aber: Ich lese noch nicht lange gerne Lyrik. Mein Zugang zu Lyrik war lange Zeit das, was an Gedichten in der Schule vorgesetzt wird: Goethe, Schiller, Eichendorff. In der Mittelstufe vielleicht noch Annette von Droste-Hülshoff. Und wenig davon, von diesen zumeist eben männlichen, weißen, cis-hetero Dichter*innen las ich gern. Diese Lyrik las sich oft verstaubt, berührte mich kaum, und eigentlich ist es ein Wunder, dass ich trotzdem den Zugang hatte, Lyrik zu schreiben und mich darin so frei zu bewegen.
Es brauchte schließlich Lyrik von Menschen, die mir ähnlicher waren, oder die Perspektiven hatten, die ich kennenlernen wollte, die experimentell mit ihren Worten und Versen waren, die mich endlich auch beim Lesen fühlen ließen. Ich las, verschlang geradezu Lyrik von Rupi Kaur, Mascha Kaléko, Audre Lorde, May Ayim, Volha Hapeyeva, Kae Tempest, Warsan Shire, Sirka Elspaß und von fremden Menschen auf Twitter, sah sie auf Bühnen performt von Jule Weber, Miedya Mahmod, Lisa Brück, Jana Goller. Ich fühlte sie, ich fühlte Lyrik. Ich fand und las Romane, die verdichtet waren, Der Schwarze Flamingo von Dean Atta und Die Sonne, so strahlend und Schwarz von Chantal-Fleur Sandjon und fühlte mich unheimlich, unendlich inspiriert.
Diese Lyrik, diese Kunst dieser Menschen und so vieler mehr lässt mich selbst immer wieder ausprobieren, kann ich vielleicht auch diese Art Metaphern nutzen, wie funktioniert jene Art Gefühligkeit, wie kann ich selbst so schreiben – und wie mache ich dann etwas eigenes draus? Das funktioniert auch immer wieder in einer Schreibgruppe, in der ich bin, sich neues aneignen, einander inspirieren, von einander lernen und (schreiberisch) wachsen. Je mehr ich lese, Lyrik oder nicht, desto mehr schreibe ich wieder und umgekehrt. Ich konsumiere Kunst und Kunst entsteht im weiteren Prozess, ich lasse Kunst entstehen und will gleichzeitig Kunst von anderen sehen, lesen, hören, fühlen.
Mein Weg zur Lyrik war immer gegeben, nicht immer leicht zugänglich, nicht immer inspirierend, irgendwann unaufhaltsam und irgendwann wunderschön. Heute kann ich nicht mehr ohne Lyrikband wegfahren. Ein Roman, ein Sachbuch, ein Lyrikband, ein Notizbuch. Mindestens vier Bücher im Rucksack und immer was zu fühlen dabei.